Gastautor Prof. Dr. Eric Horster:

Das Mindset bei Innovationsprozessen

In Innovationsprozessen ist eine explorative Denkhaltung die Grundvoraussetzung, um an Problemstellungen (ergebnis)offen herangehen zu können. Doch wie unterscheidet sich ein Innovationsprozess und die darin etablierte Denkhaltung von anderen, uns bekannten Arbeitsprozessen?

Standardprozess vs. Prozessstandard

Es gibt viele Entwürfe von Innovationsprozessen. Gemeinhin bekannt ist im Design Thinking ein 6 Phasenmodell, bei dem in den ersten drei Phasen versucht wird, das Problem zu verstehen: Beobachten, Verstehen, Herausforderung definieren. Im Anschluss daran wird über Ideen finden, Prototyp entwickeln und Testen eine Lösung kreiert.

Das Problem dabei ist, dass die Rahmenbedingungen, in denen Innovation stattfindet, sich nicht in einen solchen Standardprozess drücken lassen. Zum einen gibt es Herausforderungen, die sich auf die im Projekt beteiligten beziehen. So kann es gerade bei Tourismusorganisationen Limitierungen im Budget oder beim Personal geben, die das proklamierte Vorgehen in 6 Schritten nicht erlauben. Zum anderen ist es aber auch so, dass Innovationsprozesse explizit in Wiederholungsschleifen angelegt sind. Dies ist beim klassischen 6 Phasenmodell zwar mit, aber nicht bis zu Ende gedacht. Denn in der Praxis sieht es so aus, dass man von sehr groben Prototypen nach und nach zu Lösungen gelangt, die sehr nah an einer Marktreife sind. Nun ist es nur logisch, dass bei geplanten Wiederholungen nach jedem Prozessdurchlauf Erkenntnisse gesammelt werden, die sich auch darauf auswirken, wie weitergearbeitet wird – wodurch das Vorgehen ständig flexibel bleibt und sich dynamisch mit den Erkenntnissen verändert. In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Prozess selbst nach jeder Wiederholungsschleife hinterfragt und angepasst werden muss.

 

Den Prozessstandard definieren

Ein Innovationsprozess muss daher so gut sein, dass mit dem definierten Prozessstandard erst einmal gestartet werden kann. Dann sollte genau dieser Prozess nach jeder Wiederholungsschleife aufs Neue hinterfragt werden: Ist der Prozess so, wie wir ihn angelegt haben, noch zielführend für die Herausforderung, die sich uns jetzt stellt?

Der Startpunkt eines Innovationsprozesses ist also, dass genau dieser Prozess festgelegt wird. Es braucht einen ersten Entwurf davon, wie man vorgehen und starten möchte. Wenn ein solcher Prozess dann definiert ist, muss ein Abgleich mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erfolgen: Passt das, was überlegt wurde zu den zeitlichen, personellen sowie budgetären Vorgaben und haben Entscheidungsträger:innen sowie das Personal, das eingebunden ist, das entsprechende Mindset und die Kompetenzen, um den Prozess mitzutragen? Hieraus ergeben sich spezifische Rahmenbedingungen, die den Prozess und dessen Standard vordefinieren.

 

Freiheit innerhalb der Struktur

Innovationsprozesse leben davon, dass Menschen sich entfalten können. Damit ein Innovationsprozess jedoch nicht im Chaos endet und ohne konkretes Arbeitsergebnis stehenbleibt ist es umso wichtiger, dass die Struktur, in der diese Freiheit ausgelebt wird, klar ist. Je mehr Freiheit gewünscht ist, desto mehr Struktur muss vorgegeben werden (Freiheit innerhalb der Struktur). Doch wie kann in Innovationsprozessen, die individuell gestaltet werden und stetig angepasst werden sollen, eine solche Struktur gegeben werden?

Die entsprechende Grundstruktur erhalten Innovationsprozesse durch die drei Kernelemente, die jedem Innovationsprozess inhärent sind und an dem entlang eine Orientierung erfolgen kann:

  1. Von der Analyse (Problemraum) zum Prototyping und Testen (Lösungsraum) denken.
  2. In sammelnden (divergenten) Prozessabschnitten denken, die von priorisierenden und aussortierenden (konvergenten) Arbeitsschritten gefolgt werden.
  3. Wiederholungen einplanen und die nächsten Arbeitsschritte immer wieder so anpassen, dass sie zum aktuellen Erkenntnisstand passen.
Innovationsprozesse im Unternehmen verankern

Wenn die Logik eines Innovationsprozesses erst einmal verstanden wurde ist es wichtig, diesen im Unternehmen zu verankern. Dies ist eine Führungsaufgabe, bei der Aufgaben und Projekte zunächst betrachtet werden müssen und entschieden werden sollte, inwiefern gelernte und standardisierte Ausführungsprozesse bei der jeweiligen Herausforderung angebracht sind, oder aber ob es sich um eine Aufgabe handelt, die einen explorativen und neuen Charakter hat und daher in einem experimentellen Setting stattfinden sollte.

 

Spannungen im Team antizipieren und auflösen

Unternehmen, die Innovationsprozesse einführen sollten sich von Beginn an darüber bewusst sein, dass die Logik innerhalb von experimentellen Prozessen eine vollkommen andere ist als jene, die in etablierten Abläufen und reiner Verwaltung gelebt wird. Diese Unterschiede führen schnell zu Missverständnissen und Spannungen innerhalb eines Teams.

Während das traditionelle Management Kosten einspart, muss die unternehmerische und innovative Seite des Unternehmens Geld investieren, um neue Wachstumsmärkte zu finden. Dies kann dazu führen, dass die verwaltende Seite nicht versteht, weshalb es für sie weiterhin zielführend sein sollte zu optimieren und Fehler nach Möglichkeit überhaupt nicht zu begehen. Denn die Innovationsseite „verbrennt“ in einem unternehmerischen Denken ja absichtlich Geld indem Fehler im Rahmen von Experimenten provoziert werden, um aus diesen zu lernen und in der nächsten Wiederholung die Innovation weiter verbessern zu können und an die Bedarfe des Marktes anpassen zu können.

Gelingen kann dieser Spagat zwischen Ausführungs- und Innovationsseite, indem es ein Fundament aus gemeinsamen und langfristig angelegten Visionen, einer verbindenden Sinnstiftung (neu-deutsch „Purpose“) sowie gegenseitiger Wertschätzung gibt. Gepaart sollte dies mit Transparenz in dem, was erarbeitet wird und dem Willen zur kontinuierlichen Verbesserung sein. Das Ergebnis einer solchen, wie man sie auch nennt, beidhändigen Organisation ist ein nachhaltiges Wachstum, ein motiviertes Team, in dem kontinuierliche Innovationen und Veränderungen auf der Tagesordnung stehen, ohne dass jedoch die Umsatzbringer der Gegenwart vernachlässigt werden.

 

Mut zur Lücke!

Was kann nun mit der Implementierung von Innovationsprozessen erreicht werden? Nun, es geht immer um bessere oder neue Produkte, Services oder Geschäftsmodelle. Vor allem aber kommen im Rahmen von projektbezogenen Innovationsprozessen Menschen zusammen, tauschen sich über Abteilungs- und Unternehmensgrenzen hinweg in einer anderen Arbeitsform aus. Diese Zusammenarbeit wirkt auf das Mindset der Beteiligten. Es entsteht sukzessive eine andere Unternehmenskultur, in der das Ausprobieren mehr Raum erhält. Eine experimentelle Grundhaltung, die Lust auf Trial-and-Error macht und Fehler als Basis für ein Lernfeld sieht und nicht als Ursache für Sanktionierungen.

 

Stabilität und Störung

Dabei ist zu beachten, dass zwei Arten von Fehlern unterschieden werden sollten: Bei Prozessen, die etabliert sind und die gegenwärtige Wettbewerbsfähigkeit sichern, sollten möglichst wenige Fehler gemacht werden, da diese den Geschäftsgewinn schmälern. Bei jenen Prozessen, die im Rahmen von Innovationsprozessen dafür eingesetzt werden, die zukünftige „Cash Cow“ zu finden, sind Fehler hingegen gewollt und Teil eines Experiments, aus dem Erkenntnisse gesammelt werden können, die ein Produkt, Service oder Geschäftsmodell neu erfinden lassen, oder verbessern können.

Gleichzeitig sollte der Welt der Ausführung genauso Raum und Legitimität zugestanden werden wie der der Innovation. Daher sollte auch im Rahmen von Innovationsprozessen nicht alles, was etabliert ist und „nur“ noch verwaltet wird, über den Haufen geworfen werden. Vielmehr sollte die Erkenntnis wachsen, dass es Bereiche gibt, die verändert werden müssen, um die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit sichern zu können. Daneben gibt es aber auch die aktuellen „Cash Cows“, die bei einem Veränderungsprozess so reibungslos wie möglich weiterlaufen sollten, um die aktuelle Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden. Diese Differenzierung ist wichtig, auch wenn es grundsätzlich dabei bleibt, dass der Seite der Innovationen bisher gerade in touristischen Unternehmen noch viel zu wenig Raum gegeben wird.

 

Weiterführende Links

Studie zu den Effekten des Design Thinking aus dem Jahr 2015: https://web.archive.org/web/20220609170552/https://idw-online.de/en/attachmentdata45603.pdf

Blogbeitrag zum „No Prototype, No Meeting“-Ansatz: https://productsofdesign.sva.edu/blog/nomeeting

Video zu den 12 Geboten des Service Design: https://youtu.be/osWz3zBNHhI

 

Informationen zum Autor:

Prof. Dr. Eric Horster ist seit 2012 Professor für Hospitality Management an der Fachhochschule Westküste in Heide (Holstein). Er verantwortet dort die Schwerpunkte Hospitality Management, Tour Operator Management sowie Digitalisierung im Tourismus. Durch zahlreiche Vorträge und Publikationen setzt er regelmäßig Impulse in den Bereichen digitales Tourismusmarketing, Customer Experience Management, Innovationsmanagement oder Digitale Ethik.

Seit 2020 ist er Mitglied im Deutschen Institut für Tourismusforschung. Seine Projekte dort bauen auf seinen Erfahrungen bei Projekten für das Umweltbundesamt (Fokus: Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Tourismus) sowie der Deutschen Zentrale für Tourismus e.V. (DZT) auf, wo er am Aufbau der Wissensplattform www.opendatagermany.org mitarbeitete und in diesem Rahmen redaktionell das Handbuch „Open Data im Deutschlandtourismus“ begleitete.

In 2021 und 2022 leitete er im Auftrag des Tourismusverband SachsenAnhalt e. V. (LTV) die Ausbildung von Innovationscoaches in Tourismusorganisationen und betrieben in SachsenAnhalt. Für den LTV verantwortete er zudem redaktionell die Methoden der neuen landesweiten touristischen Innovationsplattform in 2022.

Seine aktuellen Arbeits und Forschungsschwerpunkte sind Digitales Besuchermanagement, Datenmodelle und Datenstandards, Customer Experience Management und Innovationsmanagement sowie das Themenfeld rund um Smart Destinations.

Alle Publikationen und Tätigkeiten von Eric Horster finden Sie unter: http://www.eric-horster.de


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