Gastautor: Matthias Burzinski

 

Eine Tasse voll Innovationsfähigkeit: Wie entwickle ich eine beständige Innovationskultur?

Kennen Sie die Tasse Värdera von IKEA? Keine Sorge, ich beginne diesen Blogbeitrag nicht mit Schleichwerbung für ein schwedisches Möbelhaus und habe auch keine Provisionsvereinbarung mit diesem Unternehmen. Vielmehr möchte ich für eine Haltung werben, heute sagt man auch gerne Mindset dazu. Es ist die Haltung, die ich gegenüber meinem Produkt einnehme.

Können Sie sich vorstellen einer Tasse, einem ziemlich alltäglichen Gebrauchsgegenstand, noch eine Innovation abzuringen? Und ich meine jetzt keine neue Gestaltung oder ein verändertes Design. Ich meine etwas wirklich Neues, das den Menschen einen Aha-Effekt beschert. IKEA hat das geschafft. Bei einer Tasse.

Diese Tasse, ich bin sicher viele haben sie zuhause, hat auf der Unterseite, also der Standseite, kleine Rillen im Profil. Und diese Rillen sorgen dafür, dass am Ende des Spülvorgangs in der Spülmaschine das Wasser direkt abläuft und nicht mehr heruntertropft auf den Boden oder die eigene Hose, wenn wir die Tasse aus der Maschine herausnehmen. So einfach, so genial.

An dieser Tasse hat ein ganzes Team lange gearbeitet. Es hat in einem Design-Thinking-Prozess nach den so genannten Pain Points während der Nutzung der Tasse oder auch einfach nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht. Und es hat, ich weiß nicht genau ob durch Beobachtung, Experimente o.Ä., unter anderem diesen einen Moment identifiziert, in dem die Tasse aus der Spülmaschine genommen wird. Und dann nach einer Lösung gesucht.

Verstehen Sie jetzt, was ich mit Haltung oder Mindset meine?

Seine Produkte zu lieben und immer nach Innovationen zu suchen, die sie besser machen.

Innovationsfähigkeit ist kein Zufall

Wir alle können uns denken, dass das schwedische Möbelhaus das nicht einmalig oder beliebig gemacht hat, sondern permanent und immer wieder tut – in einem Prozess, der integraler Bestandteil der Unternehmenskultur ist.

Ich warne Sie also schon mal vor: Wenn Sie glauben, nach dem Lesen dieses Beitrags wären Sie bereits deutlich innovativer als vorher, irren Sie sich. Sie werden die ein oder andere spontane und gute Idee haben. Vielleicht notieren Sie diese Idee und halten sie fest. In seltenen Fällen mag es sogar so weit kommen, dass aus der kleinen Idee etwas Reales wird. Das wäre immerhin schon ein einmaliger Erfolg. Aber: Auch das ist noch keine dauerhafte Innovationsfähigkeit.

Jetzt scheinen die Trauben noch höher zu hängen, nicht wahr? Unerreichbar für Ihr Unternehmen oder Ihre Tourismusorganisation. Sie möchten am liebsten aufhören zu lesen? Aber keine Sorge: Es geht auch in kleinen Teams und Einheiten. Und die Tasse zeigt auch: Es geht auch gar nicht darum, weltbewegende Neuerungen in Serie zu produzieren, sondern darum, zumindest das eigene Produkt immer wieder und sukzessive zu verbessern oder um neue Produkte und Angebote zu ergänzen. Nennen wir es vielleicht einfach eine Kultur der Erneuerung, des Ausprobierens, des Vorangehens.

Ein Fahrrad funktioniert auch heute noch im Prinzip so wie das erste seiner Art. Jedoch werden mir alle zustimmen, dass ein modernes E-Bike oder Mountainbike ansonsten nicht mehr so viel mit dem Urtyp gemeinsam hat, außer dass es fährt bzw. gefahren werden kann.

Wer mehr über unterschiedliche Arten von Innovationen erfahren möchte, kann das übrigens hier nachlesen. > https://innovation-tourismus.de/allgemein/innovationen-im-tourismus/

Wie entwickle ich diese Haltung?

Gleich vorweg: Ohne strukturelle Veränderungen in Ihrer Organisation, Destination oder Ihrem Unternehmen wird es nicht gehen, denn: Zur einer Innovationskultur gehören neue Prozesse, ein anderes Denken, neue Rollen in der Belegschaft oder unter den Akteuren*innen. Es gibt verschiedene Modelle und Ansätze, Innovationsfähigkeit in ein „System“ zu „pflanzen“. Eine Voraussetzung ist allen gemeinsam: Es ist zunächst eine Führungsaufgabe. Ausgehend von dem, was die Führung vorlebt, können wir gemeinsam und partizipativ das neue Denken zum Leben erwecken.

Eine gute Orientierung bietet für uns das Modell von Thorsten Reiter, der in seinem Buch „Killing Innovation“[1] vor allem das thematisiert, was Innovation umbringt. Sein Modell der Innovationsfähigkeit unterscheidet drei wesentliche Elemente, die wir für uns und den Tourismus, kleinere Unternehmen, Destinationen ein wenig abgewandelt haben und mit anderen Tools kombinieren. Die Elemente sind: Wahrnehmen, Ergreifen, Transformieren.

[1] Thorsten Reiter: Killing Innovation. Wie Unternehmen ihre Innovationskraft selbst zerstören … und wie sie überlebt! Zürich 2021.

Das Wahrnehmen

Das erste Element ist das Wahrnehmen. Es ist die Kunst, Veränderungen, Chancen und auch Risiken zu erkennen und richtig zu bewerten. Klingt einfach, erfordert jedoch Ressourcen, denn das ist ein aktiver Vorgang der Beobachtung. Welche Kanäle bieten sich da aus touristischer Sicht an? Im Kontext einer DMO könnte dies bedeuten, aufkommende Reisetrends zu erkennen, Feedback von Touristen zu analysieren oder neue Marketingkanäle zu identifizieren. Und das bedeutet:

  • Beobachten, interviewen, erforschen Sie regelmäßig ihre Gäste. Dazu mehr in diesem Blogbeitrag. https://innovation-tourismus.de/allgemein/kunde-im-fokus-innovative-angebote-zielgruppenorientiert-entwickeln/
  • Lesen Sie aktuelle Studien, Forschungsberichte, Trendberichte etc.
  • Besuchen Sie Barcamps, Tagungen, Kongresse oder Messen – auch anderer Branchen.
  • Beobachten Sie grundsätzlich andere Branchen.
  • Suchen Sie sich verlässliche Quellen, Influencer*innen, Experten*innen und Plattformen im Internet (z.B. dieses Blog hier), die Zukunftsthemen diskutieren.
  • Teilen Sie Ihr Wissen, Ihre Erfahrungen, Ihre Geschichten. Erzählen Sie anderen von Ihrem Unternehmen und Ihrer Destination.
  • Nutzen Sie Künstliche Intelligenz in allen ihren Formen und Ausprägungen.

Kurze Zwischenfrage: Haben Sie vorausgesehen, dass die Künstliche Intelligenz in Form von chatGPT plötzlich sogar unsere kreativen Arbeitsprozesse in Frage stellt? Vermutlich nicht. Das gilt auch für uns, obwohl wir uns vorbereitet wähnten.

Wir selbst ordnen Trends und aktuelle Entwicklungen in drei Phasen ein (s. auch Abbildung):

  • Handeln (Act)
  • Vorbereiten (Prepare)
  • Beobachten (Watch)

Richtig: Letzteres klingt schon sehr ähnlich wie „Wahrnehmen“, ist aber noch eine Stufe davor, denn darauf stehen viele Entwicklungen, von denen wir noch nicht wissen, was genau es für uns bedeutet, aber dass es Auswirkungen haben wird. Dort stand auch die Künstliche Intelligenz (KI). Und jetzt steht sie unter Handeln, ganz oben. Wir haben also eine Stufe übersprungen. Und ich vermute, vielen wird es so ähnlich gehen.

Ein anderes Beispiel: Nehmen wir an, Sie bemerken einen starken Anstieg der Nachfrage nach nachhaltigen Reiseformen. Nachhaltigkeit sollte übrigens schon unter „Handeln“ stehen. Dann könnten Sie aus der Wahrnehmensphase heraus direkt die Entscheidung treffen, ihre lokalen Anbieter*innen und Leistungsträger*innen zu ermutigen, nachhaltigere Praktiken einzuführen und diese dann in ihrer Marketingstrategie hervorzuheben. Wenn Sie das schon getan haben, sind Sie schon beim Ergreifen.

Das Ergreifen

Nach dem Wahrnehmen kommt das Ergreifen – die Fähigkeit, eine wahrgenommene Chance zu nutzen. Dies erfordert kreative Problemlösungen und die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Dazu brauchen wir Strukturen und Prozesse, um die externen Impulse zu neuen Produkten oder Services zu machen. Diese Strukturen sollten wir jedoch nicht erst jetzt aufbauen, sondern sofort nutzen können. Wir brauchen demnach eine Art Innovations-Team oder eine Abteilung (wenn es ein größeres Unternehmen ist), die sofort an die Arbeit gehen kann oder ohnehin ständig arbeitet. Dazu bietet sich als Prozess das Design Thinking an, worüber wir hier mehr erfahren können. https://innovation-tourismus.de/allgemein/innovationsprozess-produktentwicklung/

In unserem Beispiel könnte dies für den Einsatz der KI bedeuten, dass wir JETZT ein Plugin für chatGPT entwickeln (lassen) und damit eine persönliche Assistenz für unsere Gäste ins Leben rufen. Die wiederum kann auf der Website, in Apps, in Hotels oder auch in der Tourist-Information eingesetzt werden (woran wir übrigens schon arbeiten).

In unserem Beispiel zur Nachhaltigkeit könnte dies bedeuten: Wir entwickeln selbst einen innovativen Service oder ein Produkt, das auf die Nachhaltigkeit einzahlt. Oder: Wir meinen es ernst mit der Nachhaltigkeit und wollen uns und die Destination vollständig umstellen. Wir entwickeln eine regionale Initiative, um uns selbst und unsere Partner*innen dauerhaft mit innovativen und nachhaltigen Services und Tools zu „versorgen“. Für bereits bestehende nachhaltige Angebote könnte sofort eine Kampagne zur „Grünen Destination“ starten, in der innovative, nachhaltige Tourismusangebote in den Fokus gerückt werden.

Beim Ergreifen sind wir zwar schon beim konkreten Handeln, aber das letzte Element in Reiters Modell geht einen entscheidenden Schritt weiter – zur Transformation.

Das Transformieren

Jetzt geht es ans Innere Ihrer Organisation: Denn die oben skizzierten Beispiele der schnellen (Re-)Aktion und Innovation oder zumindest Adaption eines neuen Tools, müssen normal werden. Ein scheinbarer Widerspruch: Innovation muss zur Routine werden, ohne in Routine zu erstarren. Wir kennen doch alle unser Alltagsgeschäft. Und jetzt soll, nein MUSS, ich mich auch noch mit KI beschäftigen: „Ich habe keine Zeit dafür.“

Wenn Ihre Organisation, Ihr Unternehmen, Ihre Destination TRANSFORMIERT ist, dann haben Sie die Zeit. Sie müssen diese Zeit schaffen, indem Sie sich von anderen Routinen verabschieden und indem sie effizientere Prozesse aufsetzen. Transformieren bedeutet: Die Fähigkeit, die Innovation in die „Blutbahnen“ des Unternehmens, der Destination einfließen zu lassen und permanent wiederholbar zu machen. Aber auch: Diese Innovation „auszubeuten“ – bis zur nächsten.

Nun haben wir es im Tourismus eher selten mit großen Unternehmen oder DMOs zu tun. Die meisten sind klein und es mangelt scheinbar an Ressourcen. Eine eigene Abteilung für Innovation, wie sie Reiter etwa für große Unternehmen fordert, ist hier undenkbar. Hier ist Transformation nur im Netzwerk und Team möglich.

Wenn jeder und jede oder zumindest mehrere im Team, einen Teil der Zeit auf die oben skizzierten Aufgaben verwendet, funktioniert das auch in einer DMO. Verteilen Sie Rollen und formen Sie aus den Rollen ein Innovationsteam. Folgende Rollen könnten das sein:

  • Sammlung: Das Sichten und Sammeln und Verfügbarmachen von Informationen und Trends als Grundvoraussetzung für das Wahrnehmen.
  • Storytelling: Die Fähigkeit, Ideen, Wissen und Erfahrungen so weiterzugeben, dass alle sie verstehen und verinnerlichen – auch emotional.
  • Beziehungsmanagement: Als Voraussetzung für den organisierten Austausch mit allen Stakeholdern*innen, um frühzeitig dortige Entwicklungen aufzunehmen.
  • Analytische Strategie: Die Fähigkeit, aus den Informationen die richtigen Schlüsse zu ziehen und sie ins „Ergreifen“ zu übertragen.
  • Prozessmoderation: Die Fähigkeit, einen Design-Thinking-Prozess oder Kreativitätsprozess zu starten und zum Erfolg zu führen.
  • Kreativität: Das kreative und inspirative Denken in neuen Bahnen.
  • Unternehmergeist: Die Fähigkeit, die umsetzungsreife Idee auszubeuten und in skalierbare Produkte und Services zu übertragen.

Vielleicht haben Sie als Führungskraft bisher viele dieser Rollen übernommen, aber für Führungskräfte bedeutet Transformation vor allem eines: Lassen Sie los! Geben Sie Verantwortung ab – an das Team oder einzelne im Team. Die können das besser als Sie alleine. In Ihrem Unternehmen, Ihrer DMO und sicher in der Destination gibt es Menschen, die die oben genannten Rollen perfekt ausfüllen können – und WOLLEN. Lassen Sie sie!

Dieses Team muss permanent arbeiten und kann auch immer wieder neu zusammengesetzt werden. Erst dann ist die Innovationsfähigkeit erreicht.

Die Ambidextrie

Bitte keine Fremdwörter! Keine Sorge: Der Begriff der Ambidextrie ist gar nicht so wichtig, aber das Prinzip dahinter, das die Innovationsfähigkeit noch einmal gut zusammenfasst.

Dahinter verbirgt sich die Fähigkeit von Organisationen, sowohl „explorative“, erkundende, experimentelle als auch „exploitative“, effiziente und formalisierte Aktivitäten gleichzeitig zu meistern.

In der Phase des Wahrnehmens spielt die explorative Fähigkeit eine wichtige Rolle. Im Gegensatz dazu spielt auf Ebene des Ergreifens und vor allem des Transformierens die exploitative Fähigkeit und zunehmende Effizienz und Skalierung eine größere Rolle. Insgesamt geht es darum, sämtliche Fähigkeiten und Ressourcen der Organisation, des Teams, der Menschen zu nutzen, um innovationsfähig und effizient zu bleiben.

Klingt einfach, ist aber ohne ein neues Denken und neue Prozesse meist nicht einfach umzusetzen. An die Arbeit. Denn: Innovation bedeutet harte Arbeit! Die allerdings meist deutlich mehr Spaß macht.

 

Informationen zum Autor:

Matthias Burzinski

Seit 1995 als Berater, Teamplayer, Content Creator, Journalist, Projektmanager und Mensch im Tourismus-, Destinations- und Kulturmanagement unterwegs. Gründer von destinetCHANGE, dem Change-Management-Hub für Kultur und Tourismus. Seit 2006 Herausgeber und Redaktionsleiter der B2B-Plattform für Destinations- und Attraktionsmanagement www.destinet.de. Studienleitung des ReisePuls Deutschland und der Studie Job & Sinn.

Schwerpunkte: Design Thinking, Change Management, Innovationen, Storytelling, Placemaking, Experience Design, Netzwerkmanagement, Moderation, Facilitation, Tourist-Informationen, Kulturtourismus.

matthias.burzinski@destinet.de

https://change.destinet.de/


1 Kommentar

GPTOnline · 6. Juli 2023 um 11:22

Hallo,

ich finde den Artikel über Innovationskultur wirklich inspirierend! Es ist großartig zu sehen, wie Innovationen im Tourismus vorangetrieben werden können. Die vorgestellten Beispiele und Ideen sind äußerst kreativ und könnten die Branche wirklich revolutionieren. Vielen Dank dafür!

GPTOnline

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