Gastautorin Franziska Albers:

Über Innovation in touristischen Unternehmen zum nachhaltigen Normal

Zum Begriff Nachhaltigkeit, fasse ich mich kurz: Nachhaltigkeit bedeutet Haushalten mit Ressourcen.[1] Ressourcen jeglicher Art. Paradoxerweise bekommen wir Menschen es am besten und konsequentesten hin, mit Geld zu haushalten. Darauf ist unser System ausgerichtet. Obwohl genau diese Ressource uns nur im übertragenden Sinn Bedürfnisse erfüllt. Viel wesentlicher wird es, wenn es um die Ressourcen entsprechend all unserer Berührungsgruppen[2] geht – zum einen die ökologischen Ressourcen und zum anderen all die menschlichen Ressourcen und Umgangsformen. Angefangen bei uns selbst, Eigentümer:innen und Mitarbeitende, aber auch Kund:innen und Mitunternehmen sowie Lieferant:innen und das gesellschaftliche Umfeld. Wie lässt sich unter Einbezug all dieser Bedürfnisse und Ressourcen erfolgreich wirtschaften? Das ist die zentrale und drängende Frage nachhaltigen Wirtschaftens.

Unser gesellschaftliches System strebt nach der Organisation finanzieller Ressourcen und drängt die Verantwortung ökologischer und sozialer Ressourcen überwiegend in den Hintergrund. Dadurch geschieht es schnell, dass finanzielle Interessen Priorität genießen, ohne in Einklang mit weiteren – für die Zukunft oft weitaus wichtigeren – Bedürfnissen zu sein. Wie kommen wir also zu einem System, das alle Ressourcen und Bedürfnisse berücksichtigt und uns mit allen gleichermaßen haushalten lässt?

Systeme neu denken

Konsequente Nachhaltigkeit auf allen Ebenen braucht also Systemveränderung. Logik neu definieren. System neu denken. Wir können lange warten und hoffen, dass irgendjemand irgendwann das System, also unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Regeln, verändert oder neu definiert. Oder wir fangen an, das selbst in die Hand zu nehmen.

Hier kommt Innovation ins Spiel. Denn Innovation bedeutet, Dinge neu zu denken.[3] Produkte, Geschäftsmodelle, Lösungen so neu denken, dass alle Ebenen der Ressourcen und Bedürfnisse bedacht und nachhaltig bedient sind. Ein neuer Systemstandard lässt sich so etablieren. Das ist einfach gesagt und gedacht. Das in der Realität umzusetzen, braucht Mut. Es kann bedeuten, erlernte Regeln, wie in Konkurrenz zu treten, statt zu kooperieren, aktiv entgegenzuwirken oder höhere Kosten in Kauf zu nehmen. Denn wie beschrieben sind unsere aktuellen „Spielregeln“ auf finanziellen Gewinn ausgerichtet, ohne dabei (in gleichwertigem Ausmaß) unsere Umwelt oder andere Menschen zu berücksichtigen. Ganz einfach zeigt sich das bspw. in Sachen Mobilität. Durch den niedrigeren Preis von Flugreisen wird dieser Kauf der aktuellen Systemlogik folgend nahegelegt. Die hohe einhergehende Umweltbelastung wird nicht berücksichtigt. Die teurere Bahnfahrt wäre für ein System, in dem ökologische Bedürfnisse gleichermaßen relevant sind, gegenüber einer Flugreise jedoch zu bevorteilen.

In vielerlei Hinsicht und mit einer Prise Kreativität ist es dennoch machbar, diese gesellschaftlichen Regeln schon jetzt neu zu schreiben und die nachhaltige Logik in das eigene Handeln einzubeziehen – als neuen Systemstandard zu etablieren.

Veränderung heißt Widerstand

Zu diesem neuen Systemstandard und einem nachhaltigen Normal gehört gesellschaftliche Veränderung. Und Veränderung bringt Widerstand mit sich. Widerstand kann uns vor negativen Veränderungen schützen, aber auch an nötigen, an dieser Stelle betrachteten sozial ökologisch positiven Veränderungen hindern. Innovationen bergen das Potenzial diese positive Veränderung durch sozial ökologisch nachhaltige Innovationen zu unterstützen und Widerstände zu umgehen oder abzubauen. Wenn eine generell positive Haltung gegenüber Innovationen besteht, ist auch der Widerstand gegenüber Veränderung geringer. Das kann genutzt werden, um über Innovation einen sozial ökologischen Wandel zu fördern. Die Chance einer Innovation besteht darin, die Idee direkt so umzusetzen, dass sie den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen auf allen Ebenen berücksichtigt, also Nachhaltigkeit als normal etabliert. Insbesondere wenn ein Unternehmen ein etabliertes Innovationsmanagement besitzt und eine Offenheit gegenüber Innovation besteht, kann das der Türöffner zur nachhaltigen Denkweise sein. Diese nachhaltige Sichtweise als normale Haltung im ergebnisoffenen Innovationsprozess, kann auch das Denken und Handeln in anderen Bereichen des Unternehmens beeinflussen und in eine nachhaltige Richtung bewegen. Wir gestehen uns im Innovationsprozess ein, zu scheitern, sich auszuprobieren und Dinge neu zu machen. Das unterstützt die Haltung, sich stärker für neue wirklich nachhaltige Herangehensweisen, für Perspektiven und Bedürfnisse verschiedener Berührungsgruppen zu öffnen.

Eine nachhaltige Haltung durch Verständnis etablieren

Eine Grundlage für das Einbeziehen von ökologischen sowie sozialen Ressourcen und Bedürfnissen ist Transparenz und Verständnis. Wenn wir lernen zuzuhören und Verständnis aufzubringen, können verschiedene Interessen leichter berücksichtigt werden. Die Fähigkeit verschiedene Blickwinkel einzunehmen, erhöht ebenso die Wahrscheinlichkeit ein Produkt erfolgreich zu etablieren. Wenn von vornherein mögliche Widerstände einbezogen und berücksichtigt werden, kann die entsprechende Innovation langfristig erfolgreicher sein. Die Grundlage für Verständnis auf beiden Seiten (bei einem selbst und den Berührungsgruppen) ist dabei Transparenz. Umso transparenter die eigenen Absichten vermittelt werden, desto offener werden auch die entsprechenden Berührungsgruppen mit den eigenen Interessen umgehen.

Je nach zu lösendem Problem können die Berührungsgruppen unterschiedlich wichtig sein. Mal können es die Einwohnenden sein, mal die Mitarbeitenden. In jedem Fall ist es ratsam, am Beginn des Innovationsprozesses zu erfassen, wer vom zu lösenden Problem bzw. zu entwickelnder Innovation betroffen ist oder berührt wird.

Ein wichtiger Aspekt im Punkt Verständnis und Mitentscheidung ist, dass unser bisheriges System sehr stark von Machtverhältnissen geprägt ist. Selbst wenn die Macht besteht, die eigenen Interessen durch eine Innovation „durchzudrücken“, entspricht das keiner nachhaltigen Haltung und wird auch langfristig nicht zu einem guten Leben für alle Berührungsgruppen auf einem intakten Planeten beitragen. Im ersten Schritt hilft es, sich bewusst zu machen, in welchen Situationen die eigene Position Macht ausüben könnte und in welcher Macht auf die eigene Position ausgeübt wird. Nach dieser Reflexion kann es hilfreich sein, besonders vulnerable Akteur:innen in den Prozess einzubeziehen oder ihre Perspektiven besonders hervorzuheben. Oftmals betrifft dies die Umwelt, die entweder keine Stimme oder eine eher leise Stimme durch NGOs besitzt. Dazu gehören aber auch Menschen in vulnerablen Lieferketten, die an unserer Stelle nicht einbezogen, jedoch stark von Auswirkungen betroffen sein können. Um diesen ungleichen Verhältnissen entgegenzuwirken, kann also Transparenz und Sichtbarkeit von Interessen und Teilhabe helfen.

Je nach Betroffenheit, Zugänglichkeit und Umfang der Berührung entsprechender Akteur:innen können Perspektiven im internen Prozess erkundet werden. Hierüber kann ein Verständnis ihrer Interessen entwickelt werden. Wenn auch Verständnis und Akzeptanz bei den Berührungsgruppen von Relevanz ist, ist ein Einbeziehen dieser wichtig. Weil wir nicht in Gänze erfassen können, was die Bedürfnisse anderer sind (insbesondere bei bedeutenden Innovationen), kann zu einer nachhaltigen Haltung auch der Einbezug und die Mitentscheidung verschiedener Berührungsgruppen gehören.

Abbildung 2: Eine nachhaltige Haltung durch Verständnis (Eigene Darstellung)

 

Wie machen wir’s in der Praxis?

Im Folgenden wird die Innovation selbst, die Einbettung dieser und der Innovationsprozess unterschieden. Wie lässt sich all das nachhaltig und systemverändernd gestalten?

  • Innovationsprozess (z.B. Design Thinking mit verschiedenen Berührungsgruppen)

Bereits im Innovationsprozess können neue nachhaltige Haltungen eine wichtige Rolle spielen und das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Interessen zurückgewonnen werden. Durch das Einbeziehen von verschiedenen Berührungsgruppen öffnet sich die Perspektive und stellt sich ein Verständnis für die entsprechenden Bedürfnisse ein. Das kann beim Einbeziehen der Perspektive von Einwohner:innen in der Entwicklung neuer Produkte in vielerlei Hinsicht vorteilhaft sein. Beispielweise kann sich die Tourismusakzeptanz erhöhen oder Interessenskonflikte werden bereits in der frühen Entwicklungsphase aufgedeckt.

Beispiel: Produktentwicklung im Design Thinking Format in verschiedenen Phasen. In entsprechenden Phasen werden nacheinander Kund:innen, Einwohner:innen, Mitunternehmen eingeladen, um erst das Problem aus allen relevanten Perspektiven zu verstehen und anschließend gemeinsam eine Lösung zu entwickeln, die allen Bedürfnissen möglichst gerecht wird oder zumindest keine Einwände erzeugt.

  • Innovation selbst (z.B. neues Produkt)

Ein gesellschaftliches Problem wird nachhaltig gelöst. Die Innovation berücksichtigt also alle Bedürfnisse der Berührungsgruppen und haushaltet mit den betreffenden Ressourcen gleichermaßen.

Beispiel: Entwicklung eines neuen Produkts im Hotel entsprechend der Problemherleitung zum Thema Mobilität: Leihfahrradstation

 

Methode: Sieben Denkhüte der Berührungsgruppen (sowohl in der Prozessgestaltung als auch für die Innovation selbst anwendbar)

Diese Methode im Methodenfinder entdecken (Log-In erforderlich)

Nutzen Sie hierfür die Vorlage der Sechs-Denkhüte-Methode auf der Innovationsplattform und ersetzen Sie die sechs Hüte durch folgende sieben Hüte und stellen Sie sich die entsprechenden Fragen aus der jeweiligen Perspektive. Die Fragen dienen als erste Inspiration. Versetzen Sie sich in die Perspektive der entsprechenden Personen oder laden Sie sie entsprechend des vorher beschriebenen Prozesses ein, sich zu beteiligen und überlegen Sie, ob ihre Innovation im Interesse oder im Widerspruch mit ihren Bedürfnissen und Ressourcen stehen.

  1. Lieferant:innen

Welche Vorleistungen müssen wir für die Innovation beziehen?

Wo können wir diese Vorleistungen ethisch gerecht und ökologisch nachhaltig beziehen?

  1. Eigentümer:innen

Ist der Erhalt des Unternehmens durch die Innovation gefährdet?

Welches Businessmodell steckt hinter der Innovation? (falls nötig)

  1. Mitarbeitende

Inwiefern nimmt unsere Innovation Einfluss auf unsere Mitarbeitenden?

Welche Vor- und Nachteile bringt die Innovation für die Mitarbeitenden mit sich?

  1. Mitunternehmen

Welchen Einfluss hat die Innovation auf (regionale) Mitunternehmen?

Kann ich im Zuge der Innovation in Kooperation mit Mitunternehmen treten?

  1. Kund:innen

Welchen sozial ökologischen Mehrwert bringt die Innovation unseren Kund:innen?

Verleitet die Innovation zu unnötigem Konsum oder bietet sie eine sozial ökologische Alternative?

  1. Einwohner:innen

Wie wirkt sich die Innovation auf unser gesellschaftliches Umfeld aus?

Welchen Nutzen hat die Innovation für die Einwohner:innen oder schadet sie ihnen?

  1. Umwelt

Welche Umweltauswirkungen bringt die Innovation mit sich?

In welchem Verhältnis stehen diese Auswirkungen und wie können sie vermieden werden?

 

  • Einbettung der Innovation (z.B. Vertriebsweg des neuen Produkts)

Nun geht es an die Umsetzung und Etablierung der Innovation. Wenn Sie an den Punkt gekommen sind, dass Sie eine nachhaltige, bedürfnisberücksichtigende Lösung für Ihr Problem gefunden haben, dann möchte dies nun unter die Menschen gebracht werden. Auch hier können die verschiedenen Perspektiven einbezogen werden.

Beispiel: Mit den umliegenden Bewohner:innen wird ein geeigneter Standplatz für die Leihfahrradstation gesucht, um auch diesen Zugang zu gewähren.

 

Wer, wenn nicht wir?

Innovationen bergen so ein enormes Potenzial von Beginn an Nachhaltigkeit zu etablieren, ohne über historisch gewachsene Widerstände, Unstimmigkeiten und Veränderungen hinweg zu kämpfen. Gesellschaftliche Regeln lassen sich über Innovation neu schreiben.

Und gleichzeitig: Seien Sie geduldig mit sich. Seien Sie mutig und fangen Sie an. Es ist absolut in Ordnung, wenn Sie nicht von Beginn an alles berücksichtigen und verfolgen können. Doch mit jedem Schritt und jeder neuen Perspektive und Haltung bewegt sich unsere Gesellschaft ein Stückchen weiter in Richtung einer lebenswerten Zukunft.

 

Kennen Sie schon das Ecogood Business Canvas (die gemeinwohlorientierte Version des Busniness Canvas)?

Für eine Neugründung oder einen größeren Innovationsprozess empfiehlt sich dieses von der Gemeinwohl-Ökonomie Bewegung entwickelte frei verfügbare Instrument, um ein nachhaltiges Geschäftsmodell mit Blick auf alle Berührungsgruppen und entsprechende Werte zu entwickeln.

Hier gibt es alle Unterlagen zum Download: https://germany.ecogood.org/umsetzung/start-ups/

Informationen zur Autorin:

Franziska Albers‘ zentrales Thema ist ein gemeinwohlorientierter Systemwandel. Nach dem Wirtschaftswissenschaftsstudium und einigen Jahren Erfahrung in Gastronomie und Hotellerie in Kanada, Deutschland und Österreich studierte sie nachhaltiges Tourismusmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Seit 2020 engagiert sie sich in der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) und setzt sich als zertifizierte GWÖ-Referentin und GWÖ-Beraterin im Zertifizierungsprozess für ein alternatives Wirtschaftsmodell ein.

Seit Herbst 2022 trägt sie bei Teejit die Prinzipien von Gemeinwohlorientierung und Nachhaltigkeit in die touristische Praxis. Mitentscheidung, Kollaboration und Netzwerkarbeit stehen dabei als Grundlagen für einen Wandel zu einer lebenswerten Gesellschaft für alle im Zentrum.

 

[1] Mehr dazu: Müller-Christ, Georg (2020): Nachhaltiges Management. Handbuch für Studium und Praxis, 3. Auflage, Nomos

[2] Berührungsgruppen spiegeln alle Menschen, Umwelt und künftige Generationen wider, mit denen eine Organisation Kontakt hat oder auf die sie mittel- und unmittelbar Einfluss hat.

[3] Mehr dazu: https://innovation-tourismus.de/allgemein/innovationen-im-tourismus/


2 Kommentare

Andreas Eggensberger · 19. September 2023 um 7:16

Mich beschäftigt, dass wir den Klimawandel und Nachhaltigkeit im Urlaub dringend verbinden müssen.
Ich finde deshalb den Gastbeitrag von Franziska Albers besonders inspirierend und mutmachend.

    Tourismusverband Sachsen-Anhalt e. V. · 27. September 2023 um 18:23

    Vielen Dank für das Feedback! Das beschäftigt uns auch sehr, Nachhaltigkeit muss mitgedacht werden.

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